23.07.2020
Eine Krebserkrankung, von Diagnose über Therapie bis hin zu möglichen Nebenwirkungen, kann bei den betroffenen Personen zu starken psychosozialen Belastungen führen. Diese sind so groß, dass jede dritte Person im Verlauf eine psychische Störung entwickelt.1 Meist handelt es sich dabei um Angst- und Panikstörungen oder Depressionen.2-4 Besonders viel Unterstützung ist vor und während der Therapie nötig. Doch selbst wenn diese erfolgreich verläuft, benötigen viele “Survivors” weiterhin psychologische Hilfe.5
Das hat auch Auswirkungen auf die körperliche Gesundheit von Krebserkrankten. Depression ist assoziiert mit einer erhöhten Mortalität bei onkologischen PatientInnen.6 Außerdem gibt es Hinweise, dass Depressionen einen negativen Einfluss auf Adhärenz, Gesundheitsverhalten, Krankenhausverweildauer und Lebensqualität dieser haben.7 Darüber hinaus konnte eine Korrelation von Depression und schnellerer Krankheitsporgression bzw. erhöhtem Suizidrisiko gezeigt werden.8-9
Eine frühzeitige Erkennung solcher psychosozialer Belastungsfaktoren und das Einleiten entsprechender psychoonkologischer Maßnahmen ist eines der primären Ziele der Psychoonkologie. Insgesamt soll so die subjektive Lebensqualität von Krebspatientinnen erhalten und verbessert werden.
Psychotherapeutische Interventionen haben positive Effekte auf Symptomschwere psychiatrischer Erkrankungen, Lebensqualität, Krankheitsverhalten und die Zeit bis zur Rückkehr an den Arbeitsplatz.7 Psychopharmaka verbessern nicht nur Depression oder Angst- und Panikstörungen, sondern wirken sich auch positiv auf tumorbedingte Symptome wie Hitzewallungen oder Schmerzen aus.10
Entsprechend empfehlen die deutsche Krebsgesellschaft, die deutsche Krebshilfe sowie die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) in der aktueller S3 Leitlinie zur Psychoonkologie (2014) , dass “alle Patienten” ein “Screening auf psychosoziale Belastungen” erhalten sollten.11 Dieses sollte frühestmöglich durchgeführt und in angemessenen Abständen bzw. bei bestimmten Ereignissen wiederholt werden. Laut Expertenkonsens kann frühes Screening eine Chronifizierung psychischer Belastung verhindern und ist deshalb bereits im diagnostischen Prozess ein wichtiger Baustein.11 Es sollte also Teil einer jeden guten und umfassenden onkologischen Therapie sein.
Patient-reported Outcome Measures (PROMs) sind Instrumente mit denen die Auswirkungen einer Erkrankung oder Therapie auf einzelne Symptome, Lebensqualität oder Gesundheitsstatus auf die Patienten aus deren eigener Perspektive erfasst werden können.12 Meist werden dazu in Studien validierte Fragebogen verwendet. Diese Art der standardisierten, direkten Patientenbefragung zeichnet sich durch eine höhere methodische Qualität als informell im Gespräch erfragte Angaben aus.13 Auch die unkomplizierte Anwendung und niedrigen Kosten qualifizieren PROMs als Screeninginstrumente.14 Ausführlichere Informationen über PROs in der Onkologie haben wir hier zusammengestellt.
In ihrer S3 Leitlinie Psychoonkologie empfehlen die Autoren explizit den Einsatz validierter PROMs zum Screening auf psychische Belastung bei onkologischen Patienten. Die beste Evidenz liegt für den Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS-D) vor, sodass dieser Fragebogen als Screeninginstrument empfohlen wird. Eine komplizierte Cut-off Berechnung und Lizenzgebühren schränken die Alltagstauglichkeit dieses Instruments allerdings ein.11 Darüber hinaus gibt es gute Evidenz für die Center for Epidemiologic Studies Depression Scale (CES-D) sowie den Patient Health Questionnaire 9 (PHQ-9), für welchen in einem onkologischen Setting eine mit dem HADS-D vergleichbare Performance als Screeninginstrument gezeigt wurde.14-15
In mehr als der Hälfte der Regionen Deutschlands liegt die Versorgungsdichte psychoonkologischer bzw. psychosozialer Angebote, insbesondere im ambulanten Sektor, bei unter 50%.16 Ein gutes Screening könnte hier einerseits helfen, die wenigen verfügbaren Ressourcen effizienter zu verteilen. Andererseits wäre es möglich, den Gesamtbedarf objektiv festzustellen und so Argumente für mehr Versorgungsstrukturen zu schaffen.
Insgesamt werden PROMs allgemein als Screeninginstrument für psychische Belastungen empfohlen. Mehrere Fragebogen erfüllen die für ein Screening benötigten psychometrischen Gütekriterien, sind einfach anwendbar und preisgünstig. Dabei empfiehlt die S3-Leitlinie Psychoonkologie insbesondere den HADS-D. Einschränkend sollte erwähnt sein, dass Empfehlungen dieser Art oft auf einem Expertenkonsens beruhen. Obwohl der Zusammenhang zwischen psychischer Gesundheit und Krebserkrankungen unbestritten ist, sollten zur Stärkung der Leitlinienempfehlung weitere, umfassendere Studien durchgeführt werden.17
Auch heartbeat unterstützt Krebszentren seit Jahren bei der Erfassung von Lebensqualität und psychischer Gesundheit mit PROMs. Wir hoffen, dass unsere guten Erfahrungen auch andere anregen, noch mehr auf ihre PatientInnen zu hören.