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April 1, 2022

White Paper: PROMs und Erkrankungen des Hüftgelenks

Heartbeat Medical ist der führende Anbieter für die digitale Erfassung und Auswertung von Patient-Reported Outcomes (PROs) in Europa. Mit unserer Plattform ermöglichen wir es Ärzt:innen und ihren Patient:innen, die langfristigen Ergebnisse von Behandlungen zu überwachen und dabei die Patientensicht mit einzubeziehen. Durch die Messung von PROs und durch die Möglichkeit, weitere medizinische Daten zu integrieren, entsteht eine valide Basis für die Ermittlung und Bewertung des Gesundheitszustands und der Lebensqualität. Ärzte und Ärztinnen können so gute Therapieentscheidungen für die einzelnen Patient:innen treffen.

Unsere Plattform wird bereits in zahlreichen medizinischen Zentren und Universitätskliniken sowie von vielen Registern und Versicherungen eingesetzt. Sie ist zudem Bestandteil von verschiedenen Forschungsprojekten wie zum Beispiel in der Orthopädie in der PROMoting Quality Studie.

Einführung

Erkrankungen des Hüftgelenks sind vielfältig und können Menschen jeden Alters betreffen und Operationen an diesem Gelenk gehören dementsprechend zu den häufigsten chirurgischen Eingriffen in der industrialisierten Welt (OECD). Mit neuen wissenschaftlichen Methoden wird zunehmend untersucht, wie mit diesen Erkrankungen im Sinne einer patientenzentrierten, wertebasierten Gesundheitsversorgung umgegangen werden sollte. Dabei rücken neue Maßnahmen wie die Erhebung von patientenbezogenen Ergebnismessungen (Patient Reported Outcomes, kurz: PROs) in den Fokus. (OECD, 2019).

Die Einführung von PROMs in die Patientenversorgung hat bereits zu Verbesserungen bei der medizinischen Versorgung und der Patientenbeteiligung geführt. Und auch die Arbeit mit PROMs an sich hat sich weiterentwickelt: Indem zum Beispiel PROMs zusammen mit Behandlungsergebnissen in Form von neuartigen Registern zusammengeführt werden, können sich medizinische Fachkräfte nun besser über bewährte Verfahren informieren. 

Besonders im Bereich der Orthopädie sind PROMs bereits gut etabliert: Hier wollen wir nun im Folgenden einen Fokus auf Erkrankungen des Hüftgelenks legen und zu einem besseren Verständnis beitragen, welche PROMs derzeit verwendet werden, was bei der Auswahl von PROMs zu beachten ist und welche Maßnahmen nötig sind, um PROMs vollständig in den klinischen Alltag integrieren zu können.

Die Plage Hüftschmerzen

Schmerzen im Hüftgelenk sind ein bekanntes Leiden älterer Menschen, können aber auch junge und aktive Erwachsene mittleren Alters betreffen. Sie führen häufig zu Schmerzen und einer eingeschränkten Funktionsfähigkeit. Betroffene haben zudem oft Schwierigkeiten bei der Durchführung von Aktivitäten des täglichen Lebens – mit der Folge, dass ihr soziales und psychisches Wohlbefinden beeinträchtigt wird (Impellizzeri et al., 2020). 

Besonders chronische Hüftschmerzen führen zu einer Vielzahl von Einschränkungen beim Gehen, Sitzen und Stehen und schränken so die Fähigkeit ein, zu arbeiten oder alltägliche Aufgaben zu erledigen (Burnett et al., 2006; Enseki et al., 2014). Eine Arthrose (OA) im Hüftgelenk zum Beispiel kann typischerweise Leistenschmerzen (mit Ausstrahlung ins Knie) beim Gehen, steife und eingeschränkte Bewegungen, eine fixierte Flexionsdeformität sowie eine echte Beinlängendiskrepanz verursachen. Arthrosen gehören generell zu den zehn Krankheiten, die die Menschen in den Industrieländern am meisten plagen und Schätzungen zufolge leiden weltweit 10 % der Männer und 18 % der Frauen im Alter von über 60 Jahren an einer symptomatischen Arthrose in mittelschwerer und schwerer Form (WHO, 2014). Die Behandlung von Arthrosen im Hüftgelenk zielt daher auf eine Linderung der Schmerzen und eine verbesserte Funktion des Gelenks ab, sodass sich die Lebensqualität infolgedessen verbessert. (Quinn et al., 2018). 

Hüftschmerzen können alle Altersgruppen betreffen: Erkrankungen wie Hüftdysplasien, Morbus Perthes, femoroacetabuläre Impingements (FAI) und das Verrutschen der oberen Oberschenkelepiphyse können schon bei Kindern und jungen Erwachsenen zu chronischen Schmerzen und Funktionsstörungen im Hüftgelenk führen. Die Betroffenen berichten dabei am häufigsten über stechende Schmerzen tief im Hüftgelenk oder in der vorderen Leiste (Burnett et al., 2006; Clohisy et al., 2009; Nunley et al., 2011). Ohne eine angemessene Behandlung können die dem Schmerz zu Grunde liegenden Faktoren zu einer avaskulären Nekrose oder Arthrose führen – eine der Hauptursachen für eine verminderte Lebensqualität und einen Funktionsverlust bei älteren Menschen,  aber auch verbunden mit enormen Kosten für das Gesundheitssystem (Harris-Heyes et al., 2011). Diese steigenden Folgekosten aufgrund einer unzureichende Versorgung von Erkrankungen des Hüftgelenks stellen eine Herausforderung dar, die aufgrund des demografischen Wandels noch zunehmen wird.

Während sich korrigierende Hüftoperationen oder Hüfttotalendoprothesen als revolutionär bei der Linderung von Symptomatik und Verbesserung der Mobilität erwiesen haben, gibt es dennoch herausfordernde Komplikationen: Infektionen zum Beispiel (in der Regel Staphylococcus epidermidis) treten bei 0,5 % der Hüft- und Kniegelenksprothesen auf; Luxationen oder Instabilitäten des Gelenks, ein Abriss des Abduktionsmuskels und periprothetisches Versagen (Healy et al., 2015) sind weitere mögliche Komplikationen. In Anbetracht dessen erweist sich eine wirksame Überwachung  der Schmerzen und der Funktion des Gelenks (sowohl klinisch als auch aus der Perspektive der Patint:innen) während der gesamten Behandlung  als unschätzbar wertvoll. So wird es möglich, die Behandlungen zu optimieren und zu individualisieren – und letztlich die Plage der Hüftschmerzen zu besiegen.

Die Totalendoprothese der Hüfte

Bedeutende Fortschritte in der Chirurgie haben wirksame Optionen zur Reduktion von Schmerzen und Einschränkungen im Zusammenhang mit bestimmten Erkrankungen des Bewegungsapparats (wie schwerer Arthrose) geschaffen. Die Gelenkersatzoperation (Hüft- und Kniegelenkersatz) gilt dabei als die wirksamste Maßnahme: Schmerzen und Einschränkungen werden reduziert und Patient:innen können sogar die volle Funktionsfähigkeit zurückerlangen (OECD, 2016). Das Fachblatt The Lancet kürte die Hüft- und Kniegelenkersatzoperation im Jahr 2007 zur “Operation des Jahrhunderts” (Learmouth, 2007). Als eine der am häufigsten durchgeführten Operationen in Westeuropa verbessern sich die chirurgischen Techniken, Geräte und Behandlungen zudem kontinuierlich weiter (OECD, 2016). Indiziert ist ein Gelenkersatz immer dann, wenn die Einschränkungen erheblich sind und eine konservative Behandlung zu keiner Besserung führt (Santaguida et al., 2008; Gupta et al., 2018). Meistens folgt dann das Einsetzen einer Hüft-Totalendoprothese (THA), bei der das gesamte Hüftgelenk durch eine Prothese ersetzt wird.

Der Nutzen von PROMs

Patientenbezogene Ergebnismessungen (Patient-Reported Outcome Measures, PROMs) sind ein wesentlicher Faktor auf dem Weg zu einem patientenzentrierten Versorgungsmodell. Sie quantifizieren die Auswirkungen einer Behandlung (das Patient Reported Outcome) in drei Hauptkategorien: globale gesundheitsbezogene Lebensqualität (HRQoL), Schmerzsymptomatik und krankheitsspezifische Einschränkung.

Die Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) definiert ein Patient-Reported Outcome (PRO) als “jedes Ergebnis, das direkt von den Patient:innen selbst bewertet wird” und “durch eine Selbstauskunft – im Allgemeinen in Form eines Fragebogens – oder durch ein Interview gemessen werden kann, sofern nur die Patientenantwort aufgezeichnet wird” (EMA). So umfassen PROs den gesamten Bereich eindimensionaler und multidimensionaler Messungen von Symptomen, gesundheitsbezogener Lebensqualität, Gesundheitszustand, Therapietreue und Zufriedenheit mit der Behandlung (Deshpande et al., 2011).

PROMs dagegen sind die Instrumente, mit denen PROs gemessen werden und definieren Fragen, Erhebungszeitpunkte und Messskalen. Sie werden nach wissenschaftlichen Standards entwickelt und validiert. PROMs umfassen verschiedene Schwerpunkte: Sie sind generisch (z. B. Medical Outcomes Survey Short Form-36), krankheits-/diagnosespezifisch (z. B. Western Ontario and McMaster Universities Osteoarthritis Index WOMAC) oder spezifisch für ein Körperteil (z. B. Oxford Hip Score (OHS)). (Prodinger und Taylor, 2018). In der Regel wird eine Kombination aus generischen und krankheitsspezifischen PROMs genutzt, um ein ganzheitliches Verständnis aller Dimensionen zu erhalten, die für Patient:innen mit einer bestimmten Erkrankung von Bedeutung sind.

Die wahre Stärke eines PROM liegt in seiner Fähigkeit, den spezifischen Grund für die Inanspruchnahme einer Behandlung herauszufiltern. Dazu  werden die Symptome isoliert und der Gesundheitszustand während des gesamten Behandlungszyklus überwacht – einschließlich des früher nicht erfassten Zeitraums nach der Entlassung aus dem Krankenhaus. Eine echte Integration von PROs in die klinische Routine ist also ein guter Weg, um aufschlussreiche Informationen aus der Sicht der Patient:innen zu erhalten. 

Daneben können PROMs auch dazu beitragen, dass eine Behandlung auf der Grundlage der Patientenerfahrungen bessere Ergebnisse erzielt.  Die Integration von PROMs hat also positive Auswirkungen auf Patient:innen, Klinikpersonal und das Gesundheitssystem als Ganzes und wird daher bereits in einigen medizinischen Leitlinien aufgeführt (Weiring et al., 2018).

Die Relevanz von PROMs für das Hüftgelenk

PROMs sind auch besonders gut geeignet, um die Auswirkungen verschiedener Behandlungen auf die oft älteren Menschen mit Erkrankungen des Hüftgelenks genau zu untersuchen und zu vergleichen. Dies ist relvant, weil bei diesen Menschen mit der Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustands und der Verlängerung der Lebensspanne die Erwartungen an die eigene Leistungsfähigkeit gestiegen sind – auch bei chirurgischen Hüfteingriffen (Collins et al., 2016).

Patientenzentriertheit gilt seit 2018 bei der WHO zudem als “grundlegendes Merkmal für die Qualität der Gesundheitsversorgung” (WHO, 2018). Und diese Patientenzentrierung kann durch die Erfassung und Analyse der von Patient:innen berichteten funktionalen Ergebnisse und ihrer Lebensqualität erreicht werden, z. B indem PROMs genutzt werden, um eine medizinische Behandlung zu bewerten. Viele nationale und internationale Register haben damit bereits begonnen (Burke et al., 2007; Dickens et al., 2018; Martin et al., 2015). 

PROMs werden häufig eingesetzt und empfohlen, um klinische Entscheidungen zu verbessern, sie eigenne sich jedoch auch, um gesundheitspolitische Maßnahmen und Vergütungsprozesse weiterzuentwickeln (Gagnier et al., 2017). Im Auftrag der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich muss beispielsweise im Rahmen der Qualitätsmessung und -sicherung seit Mitte 2019  in den dortigen öffentlichen Spitälern die Indikations- und Ergebnisqualität von Patient:innen mit Hüft- und Knieprothesen erfasst werden. Konkret werden alle Menschen, die ein künstliches Hüft- oder Kniegelenk erhalten, vor der Operation und ein Jahr nach der Operation vom Spital mittels eines standardisierten Formulars zu ihrem aktuellen Gesundheitszustand befragt.

Auf der anderen Seite ermöglicht die Verwendung von PROMs die Ermittlung präoperativer Scores, die den Schweregrad der Symptomik quantifizieren und eine genaue Indikation für eine Operation stellen. So können PROMs wichtig Daten liefern: In Kombination mit relevanten klinischen Messwerten kann so eine Voraussage möglich werden, ob in einem bestimmten Fall eine Besserung nach einer Operation wahrscheinlich oder weniger wahrscheinlich ist (Ho et al., 2016).

Insgesamt steht fest: Eine Kombination aus verbesserten chirurgischen Techniken und einer alternden Bevölkerung mit hohen Erwartungen an die Lebensqualität hat zu mehr chirurgischen Eingriffe an der Hüfte geführt, insbesondere in Europa und in den Vereinigten Staaten (Leitner et al., 2018). Mit der Zunahme der Operationen steigt aber auch der Bedarf an einer effektiven Überwachung der Patient:innen im Hinblick auf postoperative Komplikationen und die Verbesserung der Gelenkfunktion.

PROMs für das Hüftgelenk

Die wachsende Popularität therapeutischer Eingriffe am Hüftgelenk hat in den letzten Jahren auch die Erforschung und Verbesserung von PROMs  gefördert. Eine Reihe von validierten PRO-Fragebögen wird infolgedessen derzeit bei Patienten mit Hüftproblemen eingesetzt (Tijssen et al., 2011). Im Folgenden werden die bekanntesten PROMs vorgestellt, die in der Patientenversorgung von Patient:innen mit Erkrankungen des Hüftgelenks verwendet werden:

  • Oxford Hip Score 

Der OHS wurde bereits 1996 entwickelt und 2007 aktualisiert. Er gehört zu den am häufigsten verwendeten PROMs im Bereich der Hüftendoprothetik (Dawson et al., 1996; Murray et al., 2007). Das wesentliche Ziel des OHS ist die Bewertung körperlicher Aspekte. Bei Patient:innen, die sich einer Hüft TEP-Operation unterziehen, werden verschiedene Faktoren (Gehen, Anziehen, Treppensteigen und Schlafen) in Bezug auf Schmerzen und Funktion untersucht.

Dieser PROM hat sich zwar bei der Bewertung von Patient:innen mit Hüftgelenksoperationen bewährt, kann aber auch zur Bewertung nach alternativen nicht-chirurgischen Eingriffen (z. B. Physiotherapie, Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln oder Einnahme von entzündungshemmenden Wirkstoffen) verwendet werden. Im Vergleich zu anderen PROMs wie dem HOOS ist der OHS ein relativ kurzer Fragebogen mit 12 Items und einem Erfassungszeitraum von 4 Wochen. Da es sich um ein prägnantes, reproduzierbares und in der orthopädischen Fachliteratur häufig genutztes Instrument handelt, ist es für groß angelegte Studien geeignet (Wylde et al., 2005). Ein weiterer Vorteil ist, dass der OHS bei Patient:innen, die sich einer primären Hüft TEP oder einer Revisionsoperation unterziehen, sehr empfindlich auf Veränderungen reagiert. Der OHS lässt sich außerdem gut mit generischen PROMs wie dem SF-36 und dem krankheitsspezifischen WOMAC kombinieren. Eine Schwäche des OHS sind die zum Teil sehr weit gefassten Fragen. Es gibt teilweise mehr als eine “passende” Antwort. Dies führt bei einigen Patient:innen zu Verwirrung bei der Beantwortung (Larsson et al., 2019).

Eine prätherapeutische Erfassung des OHS kann gut vorhersagen, wann eine Person, die zur Hüft TEP überwiesen wurde, letztlich in der Klinik nicht chirurgisch behandelt werden muss. Mithilfe von Schwellenwerten können diese fehlgeleiteten Überweisungen wirksam aussortiert werden. Denn verschiedene Studien zeigen, dass 30 bis 70 Prozent der Überweisungen an orthopädische Chirurgen für einen primären Knie- oder Hüftgelenksersatz tatsächlich besser konservativ behandelt werden sollten (Churchill et al., 2016; Neufeld et al., 2019).

  • UCLA Activity Score 

Der Aktivitätsscore der University of California Los Angeles wurde 1984 entwickelt und umfasst 10 Aussagen, die ein Spektrum von “völlig inaktiv”, “von anderen abhängig” und “kann die Wohnung nicht verlassen” bis “regelmäßige Teilnahme an körperbetonten Sportarten” abdecken (Amstutz et al., 1984: Ghomrawi et al., 2016).

Der UCLA Activity Score ist eine Messung des allgemeinen Aktivitätsniveaus von Patient:innen mit nur einer Frage. Der Patient wählt eines von 10 verschiedenen Aktivitätsniveaus aus, wobei 1 das geringste und 10 das höchste Aktivitätsniveau darstellt. Eine Studie von Zahiri et al. zeigt, dass sowohl der UCLA-Aktivitätsscore als auch die visuelle Analogskala (VAS) für den Einsatz in der klinischen Routine geeignet sind. Eine Schwäche der UCLA-Aktivitätsbewertung ist die kategoriale Natur der Beschreibungen für die 10 Aktivitätsstufen, wodurch die Bewertungsskala unempfindlich gegenüber der Häufigkeit und Intensität einer Aktivität ist.

  • Forgotten Joint Score-12 (Hip)

Der Forgotten Joint Score misst die Fähigkeit von Patient:innen, ihr künstliche Hüftgelenk im Alltag zu vergessen. Um Gelenkbeschwerden zu messen, erfasst der FJS anders als der OHS also die Wahrnehmung der Patient:innen und nicht den Schmerz selbst (Larsson et al., 2019).

Der FJS umfasst 12 Items und wurde in erster Linie entwickelt, um die Symptome nach einer Operation zu erfassen (Hamilton et al., 2016), (Behrend et al., 2012). Er ist besonders sensitiv für Patient:innen mit guten bis ausgezeichneten Ergebnissen nach einer Hüft TEP. Die hohe interne Konsistenz des FJS zeigt, dass die Items des Instruments die persönliche Wahrnehmung konsistent abdecken (Larsson et al., 2019).

  • Modified Harris Hip Score (mHHS)

Der aus dem Harris Hip Score abgeleitete mHHS umfasst acht Items, die acht Bereiche abdecken: Schmerzen, Hinken, Stützen, zurückgelegte Strecke, Treppen, Anziehen von Schuhen/Socken, Sitzen und einfache Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel (Harris et al., 1969).

Der ursprüngliche HHS umfasst zudem eine Komponente zur körperlichen Untersuchung, die jedoch eine hohe Interobserver-Variabilität aufweist (Kumar et al., 2019). Während der ursprüngliche HHS also sowohl von den Patient:innen als auch von Chirurg:innen durchgeführte Abschnitte enthält, wurde inzwischen eine ausschließlich von den Patient:innen durchgeführte Version des HHS entwickelt: der modifizierte HHS (mHHS). Er wird zur Bewertung der funktionellen Ergebnisse einer Hüft TEP verwendet. Der mHHS weist eine hervorragende Übereinstimmung mit dem ursprünglichen HHS auf (Shervin et al., 2008; Mahomed et al., 2001), zeigt allerdings eine geringere Variabilität, da die ärztliche Einschätzung der körperlichen Funktion hier nicht enthalten ist (Poolman et al., 2009).

  • HOOS

Der HOOS ist ein PROM, das zur Bewertung der postoperativen Heilung nach einer Hüft TEP verwendet wird. Dieses Instrument wurde vom Western Ontario and MacMaster Universities Osteoarthritis Index (WOMAC) abgeleitet, der ebenfalls die Ergebnisse bei Arthrose und nach einer Hüft TEP misst. Da viele Patient:innen, die für eine Hüft TEP in Frage kommen, anspruchsvollere körperliche Funktionen durchführen wollen, als für die Aktivitäten des täglichen Lebens erforderlich sind, hat der HOOS zwei zusätzliche Dimensionen: hüftbezogene Lebensqualität sowie Sport und Freizeit (Nilsdotter et al., 2003).

Der HOOS besteht aus 40 Items und wurde entwickelt, um patientenrelevante Ergebnisse in fünf separaten Subskalen (Schmerzen, Symptome, Aktivitäten des täglichen Lebens, Sport- und Freizeitfunktion und hüftbezogene Lebensqualität) zu bewerten (Nilsdotter et al., 2003).

Die bahnbrechende Studie, mit der der HOOS ins Leben gerufen wurde, zeigte ein sehr gutes Ansprechen der Items “Sport- und Freizeitfunktion” und “hüftbezogene Lebensqualität” bei Patient:innen, die jünger als 66 Jahre waren. Passenderweise werden diese spezifischen Items meistens mit einer jüngeren Bevölkerung in Verbindung gebracht, auch wenn sie ebenfalls für ältere Menschen wichtig zu sein scheinen (Nilsdotter et al., 2003). Dennoch wird der HOOS bevorzugt bei aktiveren und jüngeren Patient:innen genutzt. Aus dem HOOS lässt sich zudem ein WOMAC-Score ableiten. Daher ist er für die Verwendung über kurz- und langfristige Zeitintervalle geeignet, um behandlungsbedingte Veränderungen und primäre oder posttraumatische Arthrosen zu erkennen. (Nilsdotter et al., 2011)

Trotz der vielen Vorteile des HOOS können die 10 bis 15 Minuten, die das Ausfüllen des Fragebogens in Anspruch nimmt, für einige Patient:innen eine Herausforderung darstellen, sodass sich bei der Erhebung Probleme mit der Compliance ergeben. Diese Erkenntnis führte zur Entwicklung des HOOS-JR, einer verkürzten, validierten Version des HOOS im Jahr 2015 (Lyman et al., 2016). Der HOOS-JR kann jedoch nur AUssagen über ein einzelnes GElenk treffen, ein Patient mit beidseitiger Hüftarthrose und einseitiger Kniearthrose würde zum Beispiel drei Fragebögen ausfüllen müssen. Und auch für eine longitudinale Nachverfolgung wären drei Erhebungen zu jedem Follow-up-Zeitpunkt erforderlich. Eine Messung wie das Patient-Reported Outcomes Measurement Information System Physical Function (PROMIS PF) hingegen erfasst alle Gelenke auf beiden Seiten (Meredith, L. et al., 2020)

Die am besten geeigneten PROMs oder Kombinationen von PROMs

In einer umfassenden Übersichtsarbeit von Browne et al. wurde der OHS (zusammen mit dem European Quality of Life Questionnaire 5D) für einer nationale Untersuchung von Hüft- und Kniegelenkersatzoperationen (NHS PROMS-Programm) ausgewählt, da diese PROMs zuverlässig und einfach anzuwenden sind. Der Hip Outcome Score (HOS), der Western Ontario and McMaster Universities Osteoarthritis Index (WOMAC) und der modifizierte Harris Hip Score (mHHS) sind jedoch die in der Literatur am häufigsten verwendeten PROMs (Harris-Hayes et al., 2013; Christensen et al., 2003). 

Dies ist besonders relevant, denn: Bevor belastbare Informationen zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung für die Patient:innen und das gesamte System gewonnen werden können, müssen Gültigkeit und Ansprechbarkeit jedes verwendeten PROM durch zahlreiche Studien in der klinischen Praxis überprüft werden (Paulsen, 2014). Hilfreich können dabei die COSMIN-Leitlinien (Consensus-based Standards for the Selection of Health Measurement Instruments) sein: Sie betrachten Aspekte wie Zeitaufwand für die Durchführung, Gebühren und erforderliche Schulungen.

Krankheits- oder körperteil-spezifische PROMs werden selten allein verwendet, um die vollständige Krankheitserfahrung oder die Wahrnehmung der therapeutischen bzw. chirurgischen Behandlung zu erfassen. Es ist schlicht nicht möglich, die Krankheit von Patient:innen in ihrer Gesamtheit mit nur einem PROM zu erfassen, daher muss eine Kombination aus krankheitsbezogenen und generischen PROMs zur Anwendung kommen. Die ”generischen” PROMs werden sehr oft verwendet und in Untersuchungen von unterscheidlichen Patientenkohorten einbezogen. 

Die Fragebögen EQ-5D, WOMAC und VAS sind die bisher am häufigsten genutzte Kombination generischer und krankheitsspezifischer bzw. hüftgelenksspezifscher PROMs, wie Sørensen et al. feststellen. Ein Studie von Harris et al. ergab jedoch, dass das generische PROM Short-Form-12 (SF-12) das häufigste generische PROM darstellt.

Unabhängig davon steht fest: Der entscheidende Faktor für eine erfolgreiche Implementierung von PROMs ist die Art und Weise, wie sie in die klinische Routine integriert werden. Eine Entscheidung für offene, vernetzte und flexible digitale Lösungen ist dabei besonders wichtig, um einen relevanten Nutzen zu generieren (Eremenco et al., 2014; Stone et al., 2002).

PROMs in der konservativen Therapie

Laut klinischer Leitlinien sind bei muskuloskelettalen Schmerzzuständen in den meisten Fällen konservative Therapieansätze die erste Wahl, vor allem aufgrund der höheren Kosten und Risiken, die mit einer Operation verbunden sind (McAlindon et al., 2014; Fernandes et al., 2013; Koes et al., 2010). Daher ist hier die Bestimmung der Wirksamkeit nicht-chirurgischer Behandlungen wie z. B. von Physiotherapie von entscheidender Bedeutung.

Physiotherapie hat das Potenzial, die Belastung durch Hüftschmerzen zu verringern. Aktuelle Erkenntnisse zeigen, dass physiotherapeutische Behandlungen erfolgreich auf modifizierbare Beeinträchtigungen abzielen, d. h. auf Kraft, Bewegungsumfang, funktionelle Aufgabenleistung und neuromuskuläre Kontrolle (Kemp et al., 2019). Eine kürzlich von Kemp et al. durchgeführte systematische Überprüfung und Metaanalyse von physiotherapeutischen Interventionen bei Hüftschmerzen zielte darauf ab, die Wirksamkeit der Verbesserung von Schmerz und Funktion bei jungen und mittelalten Erwachsenen zu untersuchen: Da verschiedene PROMs zu unterschiedlichen Zeitpunkten verwendet wurden, erschwerte sich die Ableitung umfassender Schlussfolgerungen, die Daten deutetetn aber darauf hin, dass eine physiotherapeutische Intervention die Symptomatik und Funktionalität definitiv verbessern kann. 

Eine zukünftige einheitliche Verwendung von PROMs in den verschiedenen Studien wäre hier sehr aufschlussreich. Eine solche Meta Analyse könnte einen Datensatz schaffen, aus dem neue evidenzbasierte Leitlinien für das Patientenmanagement abgeleitet werden könnten!

PROMs und chirurgische Eingriffe

Angesichts der zunehmenden Verbreitung von PROMs in der klinischen Praxis ist es ratsam, ebenso ein detailliertes Verständnis für ihre Sensibilität bei chirurgischen Eingriffen zu entwickeln. Nur so kann die Umsetzung auf verantwortungsvolle, kosteneffiziente und insgesamt vorteilhafte Weise erfolgen (Ramkumar et al., 2015; Rolfson et al., 2016).

Grundsätzlich kann die Einbeziehung von PROMs bei der Begleitung von Patient:innen vor und nach einer Operation dabei helfen, potenzielle Komplikationen früher zu erkennen, die Morbidität zu verringern, die Revisionsrate zu senken und die Qualität der Patientenversorgung durch verbesserte Kommunikation im Behandlungsteam zu verbessern (Wilson et al., 2019). 

Die Abteilung für Orthopädie in Radboudumc in den Niederlanden richtete Mitte der 1990er Jahre ein klinisches Register ein, um Routinedaten zu klinischen und patientenbezogenen Ergebnissen nach einem totalen Hüft- und Kniegelenkersatz zu sammeln. Die Studie zeigte, dass sich der funktionelle Status einer großen Patientenkohorte nach einer Hüft- und Knietotalendoprothese auf der Grundlage der routinemäßigen Erfassung von patientenbezogenen und klinischen Daten signifikant verbesserte. Zudem konnten die Daten Patient:innen identifizieren, bei denen mit schlechteren Ergebnissen zu rechnen war (Wees et al., 2017). Insgesamt wurde nachgewiesen, dass eine routinemäßige Erhebung von PRO-Daten bei Patient:innen mit Hüft- und Kniegelenkersatz gut durchführbar ist und die Betrachtung von PROs vielseitige Möglichkeiten zur kontinuierlichen Qualitätsverbesserung bietet (Wees et al., 2017).

Sport, das Hüftgelenk und PROMs

Eine große Zahl von Sportlern leidet unter Hüftschmerzen und Funktionseinschränkungen. Oft gehen diese auf ein femoroacetabuläres Impingement (FAI) zurück (Byrd, 2010). Die aus dem FAI resultierenden intraartikulären Pathologien können chirurgisch behandelt werden: Die Schmerzen bei  Gelenkknorpelläsionen und Labralrissen z. B. können so reduziert werden. Zudem ist es so möglich, die Funktion des Hüftgelenks zu verbessern und den Patient:innen sportliche Aktivitäten zu ermöglichen sowie die degenerativen Veränderungen im Gelenk zu reduzieren (Bedi et al., 2013: Casartelli et al., 2015) und ihre Mobilität länger zu erhalten – eine höhere Lebensqualität ist die Folge (UN-Aging). Doch die Erwartungen vieler Patient:innen steigen ebenfalls. Das Sammeln von Informationen über Stärken und Schwächen verschiedener chirurgischer Techniken ist daher elementar und kann durch die postoperative Überwachung mithilfe von PROs sichergestellt werden. So lässt sich feststellen, welche chirurgische Intervention für welche Kohorte am besten geeignet ist. (Prodinger und Taylor, 2018).

PROMoting Quality - PROMs für die Optimierung von Behandlungen

Ein Beispiel für die vielen neuen Forschungsprojekte ist PROMoting Quality. Mit diesem multidisziplinären Projekt soll nachgewiesen werden, dass die Anwendung von PROMs bessere postoperative Ergebnisse bei Knie- und Hüftendoprothesen ermöglicht. Dazu werden die Faktoren Kosteneffizienz und frühzeitige Erkennung von postoperativen Komplikationen bei mehr als 8.000 Patienten untersucht (Kuklinski et al., 2020).  Im Rahmen der Untersuchung integrieren die teilnehmen Zentren eine PROM-Erfassungssoftware in ihre jeweiligen IT-Infrastrukturen und stimmen sie gleichzeitig auf die klinischen Routinen und den Behandlungsverlauf ab (Value Based Health Care).  Durch die Zusammenarbeit von Versicherern, Gesundheitsdienstleistern, IT-Anbietern und vor allem Patient:innen werden die Informationen, die aus der Einbeziehung von PROMs in der orthopädischen Chirurgie abgeleitet werden, auf ein neues Niveau gehoben. Bis heute wurden 9.000 Fragebögen zur Nachuntersuchung (Zeitpunkte: ein, drei und sechs Monate nach der Entlassung) ausgefüllt, was einer Rücklaufquote von 85 % entspricht. Je nach Zeitpunkt der Nachuntersuchung haben 15 bis 30 % der Patient:innen in der Interventionsgruppe Rückmeldung gegeben. Gleichzeitig haben 30 % der Patient:innen mit ihren behandelnden Ärzt:innen über PROMs gesprochen. Studienassistent:innen berichteten von zeitsparenden und robusten digitalen Arbeitsabläufen und einer hohen Akzeptanz  für PROM-basierte Interventionen bei den beteiligten Ärzt:innen (Schreckenberger, 2021). 

Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) unterstützt Forschungsvorhaben mit PROMs. EIn Beispiel ist die PaRIS-Initiative, eine Studie zur systematischen Erfassung, welche PROMs bei Patient:innen, die sich einer elektiven Hüft-, Schulter-, Ellbogen- und Knieendoprothese unterziehen, genutzt werden. Die PaRIS-IOR-Studie ist eine prospektive Kohortenstudie, bei der Patient:innen vor einer elektiven Hüft TEP PROM-Fragebögen mit dem HOOS-PS als spezifisches PROM der Wahl erhalten (Grassi et al., 2019). 

Da die Zahl der Hüft-, Knie- und Schulterendoprothesen weltweit ansteigt, sind solche Forschungsinitiativen von zentraler Bedeutung. Und sie zeigen, dass PROMs nicht nur ein nettes “Add-on” sind, sondern sich als unschätzbar wertvoll erweisen, wenn es darum geht, die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen (Bansback et al., 2019).

Förderung von Fortschritten - Messung der Fortschritte

Unsere Gesellschaft altert, und mit immer besseren Behandlungsmethoden steigen auch die Erwartungen an eine verbesserte Lebensqualität. Ein neues Verständnis von Qualität entwickelt sich. In diesem Zusammenhang nimmt die Verwendung von PROMs zu. Denn PROMs spielen eine immer wichtigere Rolle bei der Annäherung von Patient:innen und Ärzt:innen bei der Behandlung. Dementsprechend werden Anstrengungen unternommen, mit der Hilfe von PROMs auch die Vergütungsmodelle weiterzuentwickeln und Vergütungen an die Erfüllung von Qualitätskriterien zu koppeln. Die Erhebung von PROMs darf hierbei nicht nur als eine einzelne Qualitätsmaßnahme betrachtet werden, viel eher ist sie nämlich ein erster und wesentlicher Schritt auf dem Weg zu einem ganzheitlichen und patientenzentrierten Gesundheitssystem. 

 

Vor diesem Hintergrund bietet Heartbeat Medical die Technologie und das Fachwissen, die es Entscheidungsträgern im Gesundheitswesen ermöglichen, PROs effizient zu erfassen und auszuwerten. Mit unserer Plattform und unserem Netzwerk können unsere Kund:innen sicherstellen, dass Behandlungen, Geräte oder Medikamente die Erwartungen der Patient:innen hinsichtlich ihrer Lebensqualität erfüllen. Heartbeat Medical hilft dabei, das Wissen von Ärzt:innen über PROMs mit einer intuitiven und unterstützenden digitalen Infrastruktur zu verbinden, sodass die individuellen Behandlungserfahrungen und die systemischen Ergebnisse der Gesundheitsversorgung nachhaltig verbessert werden können.

 

Die Erhebung von PROMs vor und nach einem Eingriff ergänzt die klinische Anamnese und ermöglicht eine bessere Überwachung, gerade wenn die Patient:innen nicht mehr direkt von ihrem medizinischen Team betreut werden. Es werden wichtige Informationen über Schmerzwahrnehmung, Funktionseinschränkung und Lebensqualität gewonnen. Sollte es erforderlich ein, ermöglichen PROMs dadurch ein frühzeitiges Eingreifen. So kann sichergestellt werden, dass die Patient:innen im Mittelpunkt der Behandlung stehen und die bestmöglichen Ergebnisse erzielt werden.