Value-Based Healthcare erklärt

Wie der Harvard-Ökonom Michael Porter Gesundheitssysteme weltweit verbessern will

Gesundheitssysteme weltweit kämpfen mit der steigenden Belastung durch zunehmende medizinische Möglichkeiten, eine wachsende, ältere Bevölkerung sowie den damit verbundenen erhöhten Patientenzahlen und Kosten. Verzweifelt werden nach Lösungen gesucht, aber noch ist kein Ende dieser Entwicklung absehbar. Höchste Zeit also für ein radikales Umdenken? Der Harvard Professor Michael Porter findet: ja – und tritt für eine Neustrukturierung des Gesundheitssystems ein. Erste Erfolge geben ihm Recht.

„Around the world, every health care system is struggling with rising costs and uneven quality despite the hard work of well-intentioned clinicians. Health care leaders and policy makers have tried countless incremental fixes – attacking fraud, reducing errors, enforcing practice guidelines, making patients better ‘consumers’, implementing electronic medical records – but none have had much impact.“.1 So steigt Porter in seinen Artikel „The strategy that will fix healthcare“ ein und schlägt eine fundamental andere Sichtweise vor.

Qualitätswettbewerb statt Preiswettbewerb

Für Deutschland zeichnet Porter folgendes Bild: hohe und steigende Kosten zwingen Krankenhäuser zu einem zunehmend ökonomischen Denken, das finanzielle Rentabilität zu einem wichtigen „Erfolgs“-Kriterium macht. So bedingen eine an sich gute Versorgungsqualität und -verfügbarkeit bei geringem Gewinn pro Fall eine exzessive Nutzung abrechenbarer Maßnahmen. Diese führen jedoch nicht zwingend zu besseren Ergebnissen (Outcomes). Falls erhoben, werden Outcomes bisher vor allem generalisiert und über die Vermeidung des „worst case“, wie niedrige Komplikations- und Sterberaten, definiert – die Sicht des Patienten bleibt dabei außen vor.2

Anteil der Gesundheitskosten (öffentlich und privat) am BIP (nach: OECD Health at a Glance 2017).3

Außerdem moniert er eine große Fragmentierung medizinischer Versorgung (viele niedergelassene Spezialisten, kleine Krankenhäuser…), teils niedrige Patientenzahlen und damit verbunden auch signifikante Unterschiede in der Versorgungsqualität für ein- und denselben Eingriff. Darüber hinaus bemerkt er fehlgeleitete Reformen zur Kostendeckelung sowie eine fehlende Solidarität zwischen privatem und gesetzlichem Krankenversicherungssystem.2

Der Patient im Mittelpunkt jeder Maßnahme

Porters zentrale Idee: der Erfolg einer Behandlung darf nicht nur am Effekt isolierter Prozeduren oder allgemeinen Outcomes (wie Mortalitätsraten) gemessen werden. Stattdessen sollte eine Beurteilung in erster Linie anhand des Wertes für den einzelnen Patienten erfolgen. Nach dessen Wohl sollten sich auch die Anstrengungen sämtlicher Akteure im Gesundheitssystem richten. Gleichzeitig muss das Ziel des maximal zufriedenen Patienten finanzierbar bleiben. Zur Messung der Qualität, also des „Values“, einer Behandlungsstrategie stellt Porter folgende Gleichung auf:

Diesem Ziel, also größtmöglichen Value (durch bessere Behandlungsergebnisse bei möglichst niedrigen Kosten) zu generieren, müssen alle Maßnahmen untergeordnet werden. Porter arbeitet dazu im wesentlichen sechs Schlüsselveränderungen heraus.

Kontinuierliche Kosten- und Outcome Messung

Als Outcomes definiert Porter die Ergebnisse einer kompletten Behandlung. Sie beziehen sich nicht nur auf einen Wert (z.B.: Überleben, Heilung), sondern sind multidimensional (z.B.: funktioneller Status, Zufriedenheit, Nachhaltigkeit der Therapie, unerwünschte Effekte…) und je nach Krankheit und Komorbidität unterschiedlich. Vor Allem aber sollten Outcomes langfristig, systematisch und konstant für jeden Patienten erhoben werden, um Prozesse, Performance und Qualität in Echtzeit zu evaluieren.1

Gleichzeitig will Porter Kosten neu beurteilen. Auch hier ist die Gesamtheit aller Prozeduren und allen Personaleinsatzes pro Fall – inklusive etwaigem Management von Komplikationen, Rezidiven oder Behandlungsfehlern – relevant. Zusätzlich sollten auch alle aufkommenden Kosten erfasst werden, nicht nur die abrechenbaren.2

Eine korrekte Kosten- und Outcome-Messung kann also nur über einen längeren Zeitraum erfolgen. Wird ein solches Value Monitoring aber kontinuierlich durchgeführt und öffentlich zugänglich, schafft es Vergleichbarkeit und damit Wettbewerb zwischen einzelnen Anbietern. Diese Konkurrenzsituation soll laut Porter Innovationen und evidenzbasierte Therapiemodifikationen forcieren.1 Die resultierende höhere Versorgungsqualität führt zu weniger Gesundheitskosten.4

Nachhaltig gesunde Patienten brauchen keine teuren Folgeeingriffe, gehen seltener in die Notaufnahme und benötigen weniger Medikamente und Pflege. Als Beispiel führt er eine AOK Studie zu Kostenreduktion durch ein sog. „Pay-for-Performance“ Modell bei Hüftprothesen-Operationen aus dem Jahr 2011 an.5

Überdurchschnittlich gute Krankenhäuser verursachen weniger Kosten. Einteilung von Kliniken erfolgte über eine Gesamtbewertung (risikoadjustiert nach Geschlecht, Alter, Begleiterkrankungen) der Komplikationen (u.a. Revisionen innerhalb eines Jahres, chirurgische Komplikationen, Thrombosen, Femurfraktur innerhalb von 90 Tagen…)5

Patienten- statt ärztezentrierte Gesundheitsversorgung

Die gegenwärtige, „hyperfragmentierte“ deutsche Gesundheitsversorgung (viele kleine Krankenhäuser mit niedrigen Fallzahlen oder niedergelassenen Spezialisten ohne Vernetzung) verzögert den Weg des Patienten zu „seiner“ optimalen Behandlung stark. Laut Porter ist das Gesundheitssystem nämlich nicht um den Patienten, sondern um Fachbereiche organisiert. Als Patient muss man so teils weite Wege gehen, mitunter lange Wartezeiten in Kauf nehmen und sorgt bei jeder weiteren „Station“ für neuen bürokratischen Aufwand.

Abhilfe schaffen könnten hier laut Porter sog. IPUs (Integrated Practice Units) – interdisziplinärer Zentren mit affiliierten externen Standorten. Hier sollen alle nötigen Spezialisten zur umfassenden Versorgung einer Krankheit (im Sinne von DRGs) gebündelt oder vernetzt sein. So hat der Patient kürzere Wege und Wartezeiten, bekommt schneller die richtige Behandlung, wobei auch Doppeluntersuchungen vermieden und Bürokratie reduziert werden.2

Fallpauschalen für „Versorgungszyklen“ (Care Cycles)

Weiterhin empfiehlt Porter pauschale Zahlungen für definierte Versorgungszeiträume. Diese beziehen alle standardmäßig bei und nach dem Krankenhausaufenthalt anfallenden Kosten, wie beispielsweise Medikamente, Follow-up Untersuchungen, Reha-Aufenthalte o.Ä. mit ein. Das zwingt die Beteiligten, nachhaltiger zu arbeiten und ihr Budget nach eigenem Ermessen zu verteilen.

Außerdem wird die Verantwortlichkeit aller Beteiligten an der Gesundung des Patienten betont. Entsprechende „bundled payment“ Projekte, beispielsweise das schwedische „OrthoChoice“ bei Knie- und Hüftersatz, berichteten daraufhin eine Zunahme von u.a. Patienten- und Personalschulungen, aber auch verringerte Krankenhaus-Liegezeiten und Kostenreduktionen.2,6-7

Mehr Patientenvolumina und Vernetzung in spezialisierte Zentren

Ein weiterer Effekt in der oben zitierten Studie war eine Zunahme der Eingriffszahlen in den oben beschriebenen spezialisierten, interdisziplinären Zentren (IPUs). Hier sind alle für einen bestimmten Krankheitskomplex relevanten Fachrichtungen versammelt. Ärzte dort widmen sich ausschließlich einem bestimmten Patientenkollektiv und entwickeln schnell viel Kompetenz und Expertise. Die erworbene Kompetenz kann dann in Kooperation mit auswärtigen Häusern mehr Patienten zugute kommen. Hohe Patientenvolumina und damit mehr Behandlungserfahrung führen so zu besseren Outcomes und mehr Value.2

Ein Beispiel hierfür ist die Martini Klinik in Hamburg, welche mittlerweile das größte Prostata Zentrum weltweit ist.

Outcomes eines IPU im Vergleich zum Bundesdurchschnitt bei Prostatakarzinom Operationen (Quelle: Martini Klinik)8

Flächendeckende, exzellente Gesundheitsversorgung

Essenziell für eine gute Versorgung in spezialisierten Zentren ist einerseits die Überweisung dorthin. Dafür ist eine korrekte Indikationsstellung durch den Erstversorger nötig. Andererseits sollten auch kleine, periphere Gesundheitsversorger im Zweifel jederzeit Experten für die jeweilige Behandlung hinzuziehen können. So regt Porter Partnerschaften regionaler Krankenhäuser mit großen, überregionalen und erfahreneren Zentren an. Telemedizinische Anwendungen könnten hier, nach Lockerung des Fernbehandlungsverbotes auch in Deutschland, helfen.9

IT-Plattformen als Basis der Reformen

Nicht nur die Telemedizin, auch Plattformen zum Vergleich von Outcomes, eine einheitliche Dateninfrastruktur, leicht abrufbare Standards für Behandlungen und zentrale Patientendokumentation sind essentiell für das Funktionieren von Porters Konstrukt. Ohne eine passende digitale Plattform, so der Professor, wären die von ihm vorgeschlagenen Änderungen kaum durchführbar.2

Erfolgreiche Modellprojekte

Natürlich ist die von Porter publizierte (und durch J.A.M. Gray erweiterte) Lösungsidee noch sehr generalistisch und somit wenig konkret.9 Außerdem sind schon jetzt einige Probleme absehbar. Noch nicht ausreichend geklärt ist beispielsweise die Value-Beurteilung multimorbider, chronisch kranker Menschen. Hier lassen sich Behandlungsintervalle schlecht abgrenzen und eine Verbesserung von Outcomes oder Kosten ist selten gegeben. Auch das Management von Patienten mit seltenen Erkrankungen wird kontrovers diskutiert. In Porters Vorstellung standardisierter, auf bestimmte Krankheitsbilder ausgerichteter Zentren sind diese noch nicht ausreichend berücksichtigt.11

Trotzdem starten mehr und mehr Institutionen, vornehmlich in der Chirurgie und Orthopädie, konkrete Modellprojekte.12 Wie das Value Based Healthcare Konzept erfolgreich umgesetzt werden kann, zeigt beispielsweise das CJR Projekt in den USA.

Der Anfang ist gemacht

Vor Allem aber schaffen Porter und Gray eine eine solide Diskussionsgrundlage, die durch kontroverse Diskussion nach und nach verbessert werden kann. Die Grundidee, durch bessere, objektive und transparente Vergleichbarkeit von „Value“ mehr Wettbewerb und damit Qualität zu schaffen finden wir jedenfalls unterstützenswert. Wie auch Porter betont, kann ein derart groß gedachter Strukturwandel nur langsam erfolgen.11 Eine generalisierte Messung der richtigen Outcomes ist jedoch ein vergleichsweise einfacher, aber erster und grundlegender Schritt hin zu mehr „Value“ in der Medizin.

Das World Economic Forum und die Boston Consulting Group, maßgebliche Unterstützer der Idee, haben zum Thema VbHC ein Video publiziert. Hier wird eine mögliche Zukunft eines Value Based Healthcare basierten Gesundheitssystems anschaulich präsentiert.